Was sind die Fuggerzeitungen?
Der Begriff „Fuggerzeitungen“ erscheint häufig in Studien zur Medien- und Kommunikationsgeschichte und wird in der deutschsprachigen Forschung vielfach synonym für handschriftliche Zeitungen des 16. Jahrhunderts allgemein verwendet. Im engeren Sinn versteht man unter „Fuggerzeitungen“ jedoch einen Bestand an handschriftlichen Zeitungen, den die Brüder Octavian Secundus (1549-1600) und Philipp Eduard Fugger (1546-1618) zusammengestellt haben. Ursprünglich handelte es sich um 30 Bände, die aus der Sammlungstätigkeit von Octavian Secundus hervorgingen und die Jahre von 1568 bis 1600 umfassten. Er ließ auch die als Einzelblätter vorliegenden Zeitungen bereits nach Jahrgängen binden. Nach seinem Tod erbte Philipp Eduard Fugger den Bestand, jedoch gingen die ersten acht Bände verloren. Philipp Eduard ersetzte diese durch zwei seiner eigenen Bände und fügte dem Bestand weitere Bände für die Jahre 1601 bis 1604 hinzu.
Durch den Kauf der Fuggerschen Bibliothek kamen die Fuggerzeitungen im Jahr 1656 in den Besitz der kaiserlichen Hofbibliothek und wurden von Augsburg nach Wien übersiedelt. Heute umfasst die Sammlung der Wiener Fuggerzeitungen 27 Foliobände (Cod. 8949 bis Cod. 8975) mit über 15.000 Zeitungen sowie etwa 1.000 ergänzenden Dokumenten aus den Jahren 1568 bis 1605. Sie befindet sich in der Sammlung für Handschriften und alte Drucke der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.
Bei den Zeitungen selbst handelt es sich um Berichte aus verschiedenen Absendeorten in Europa, aber auch aus Amerika, Nordafrika und Asien. Eine Zeitung ist in der Regel mit Absendeort und Datum betitelt und zwischen einigen Zeilen und bis zu sechs (meist aber zwischen einer und drei) Seiten lang. In den Zeitungen werden ein oder mehrere Themengebiete behandelt, die meist durch Absätze voneinander getrennt sind. In Zeitungen aus europäischen Informationszentren wie etwa Venedig oder Antwerpen finden sich häufig Nachrichten aus anderen Orten. So beinhalten etwa venezianische Zeitungen regelmäßig auch Nachrichten aus Genua, Mailand oder Turin, aber auch aus Istanbul oder Polen.
Inhaltlich sind in den Fuggerzeitungen nahezu alle Themen vertreten, die sich auch in heutigen Zeitungen finden. Einen Schwerpunkt stellt die politisch-militärische Berichterstattung dar, daneben finden aber auch gesellschaftliche Ereignisse, wie Feierlichkeiten, höfisches Zeremoniell, Religion und Konfession, Kriminalfälle und wirtschaftliche Berichte ihren Niederschlag.
Die häufigsten Absendeorte der Wiener Fuggerzeitungen sind mit Rom, Venedig, Antwerpen und Köln, die einen Anteil von je 13-15 Prozent ausmachen, die überregional bedeutsamsten Informationszentren der Zeit. Zeitungen aus Wien, Prag und Lyon erreichen je etwa 6 Prozent, wobei Wien und Prag als Sitz des Kaiserhofs von besonderer Bedeutung waren und Lyon für die Berichterstattung aus Frankreich eine zentrale Rolle spielt. Rund 82 Prozent der Zeitungen sind auf Deutsch verfasst, gefolgt von Italienisch (17 Prozent) und Französisch, Spanisch und Latein mit je unter einem Prozent.
Frühere Forschungen zu den Fuggerzeitungen (zur Forschungsgeschichte siehe Katrin KELLER (2012), siehe Bibliographie) setzten die Sammlung der Brüder Fugger in einen stark wirtschaftlich orientierten Kontext. Sie gingen davon aus, dass es sich bei dem Bestand um ein internes Informationsblatt des Fuggerschen Unternehmens gehandelt hat, das vorrangig zur wirtschaftlichen Entscheidungsfindung der Familie diente. Aktuelle Forschungen (vor allem Renate PIEPER (2000), Zsusza BARBARICS (2006), Cornel ZWIERLEIN (2006, 2011), Oswald BAUER (2011), siehe Bibliographie) haben allerdings deutlich gemacht, dass sich diese Hypothese nicht länger halten lässt. Der Anteil der wirtschaftlichen Berichterstattung in den Wiener Fuggerzeitungen steht in keiner Relation zur Annahme einer primär wirtschaftlichen Informationsfunktion der Zeitungen, geschweige denn wäre eine wirtschaftliche Entscheidungsfindung anhand der Fuggerzeitungen denkbar. Vielmehr steht die Berichterstattung über allgemeine, politische, militärische, gesellschaftliche Ereignisse im Vordergrund.
Eine weitere Grundannahme, die in frühen Arbeiten zu den Wiener Fuggerzeitungen fast durchgehend vertreten wird, ist, dass es sich bei den Zeitungen primär um ein Privatmedium der Fugger gehandelt habe. Auch diese Überlegungen müssen durch jüngere Arbeiten zur Entstehung und Entwicklung geschriebener Zeitungen (Zdeněk ŠIMEČEK (1987), Cornel ZWIERLEIN (2011), Zsuzsa BARBARICS (2006), Holger BÖNING (2008), Heiko DROSTE (2011), siehe Bibliographie) revidiert werden. So spielte das Handelshaus der Fugger bei der Verbreitung der Zeitungen sicherlich eine gewisse Rolle, jedoch darf diese nicht überbewertet werden. Es handelt sich bei den Fuggerzeitungen vielmehr um einen Ausschnitt aus der Medienlandschaft des 16. Jahrhunderts, der dank der Sammelleidenschaft vor allem Octavian Secundus‘ Fuggers erhalten blieb. Im Gegensatz zu älteren Auffassungen ist zudem davon auszugehen, dass es sich bei den Zeitungsschreibern nur in einigen Fällen um Mitarbeiter des Fuggerschen Unternehmens gehandelt hat. In der Mehrzahl der Fälle waren es vielmehr professionelle Novellanten, aber auch Privatpersonen, die etwa im Umfeld des Kaiserhofes anzusiedeln sind, oder die mit den Heeren auf den Kriegsschauplätzen der Zeit unterwegs waren, die die Zeitungen verfassten und diese über Postrouten versandten.
Schließlich darf auch nicht von einer gleichmäßigen Struktur des Zeitungsbestands ausgegangen werden. Die Sammlung der Wiener Fuggerzeitungen dokumentiert eine Entwicklung über nahezu 40 Jahre und ist damit in sich sehr heterogen. Besonders in den frühen Zeitungen ist die Berichterstattung noch weniger professionalisiert und mitunter fokussiert auf die Verbreitung von Kuriositäten. Besonders die Zeitungen aus den vier wichtigsten Informationszentren Antwerpen, Köln, Rom und Venedig wiesen aber seit den ausgehenden achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine einheitliche Form auf und prägten einen sprachlichen Stil aus, der durch Kürze und Prägnanz, sowie durch weitgehende Wertfreiheit gekennzeichnet ist und das politisch/militärische (Welt)Geschehen thematisiert, während in Zeitungen aus weniger bedeutenden Absendeorten bis zum Ende des Überlieferungszeitraums eine stärkere Individualität in Berichterstattung und formaler Gestaltung nachweisbar blieb. Im Wesentlichen entsprechen Stil und Inhalt der professionell verfassten Zeitungen jedoch bereits dem der 1605 zuerst nachweisbaren gedruckten Zeitungen.